Wir Zimmerleute waren die Vorreiter der Digitalisierung am Bau. Seit den 1980er Jahren erstellen wir mit Abbund-/CAD-Software einen „digitalen Zwilling“ des Gebäudes. Die hohe Genauigkeit, die wir mit CNC-Abbund und Element-Vorfertigung erreichen, trifft aber auf der Baustelle immer wieder auf Vorgewerke, die mit größeren Toleranzen arbeiten. Die Folge: Wir können unser millimetergenaues Werk gar nicht so präzise aufbauen, wie wir es geplant haben. Bei komplexeren Bauvorhaben befestigen wir Bauteile nur provisorisch – aus Angst, dass wir uns durch ein zu frühes Anschließen gemäß Statik selbst „ins Bein schießen“, weil im weiteren Baufortschritt noch größere, nicht akzeptable Toleranzen auftreten. Das Ausrichten des nur provisorisch befestigten oder ausgesteiften Teilbauwerks stellt auch ein Sicherheitsrisiko dar – vor allem ist es unbefriedigend und zeitraubend.
Solche Probleme beschäftigen den Bauingenieur und Zimmermeister Rainer Abt schon geraume Zeit. Als cadwork-Mitarbeiter wurde er immer wieder mit der Unzufriedenheit der Praktiker angesichts der „Schnittstelle 3D-Modell – Baustellenrealität“ konfrontiert. Er arbeitete sich in das Thema ein und begann Baustellen als Dienstleistung abzustecken. Aus dieser mehrjährigen Erfahrung entstand eine umfangreiche Ausrüstung mit vielen selbst konstruierten Hilfsmitteln. Anfang April gab er seine Tipps und Tricks in einem ausführlichen Workshop von Holzbau Deutschland – Verband Hessischer Zimmermeister im Bundesbildungszentrum in Kassel weiter.
Vormittags wurden die theoretischen Grundlagen gelegt. Anschließend wurde im Außenbereich simuliert, wie Schwellen exakt auf einer schiefwinkligen, geneigten Unterkonstruktion verankert werden können. Im „echten Leben“ könnte das ein Betonsockel mit Toleranzen sein. Nach dem Aufmaß der Unterkonstruktion mit einem Tachymeter wurde die Ist-Geometrie mit dem Soll-Zustand im 3D-Modell in cadwork verglichen und „vermittelt“.
Mit dem automatischen Tachymeter (Totalstation) und dem entsprechenden Profi-Equipment konnten die Positionen der Ankerbolzen von einer Person sehr schnell abgesteckt werden. Während für die Schwellenausrichtung und -verankerung überwiegend Steckverbinder von Stexon oder Hilti verwendet werden, kamen bei der Übungsaufgabe wieder lösbare Stockschrauben zum Einsatz. Die Vorgehensweise ist aber vergleichbar. Im nächsten Durchlauf wurden die Muttern der Stockschrauben exakt auf Höhe positioniert und die Schwellen verlegt. Die Genauigkeit war wirklich beeindruckend.
Die Verwendung der Steckverbinder zur exakten Positionierung von Holzhauswänden ist in vielen Firmen schon Alltag. Um den Schwierigkeitsgrad noch zu erhöhen, wurde am Ende noch eine bestehende Hallenstütze eingemessen, eine diagonal daran anschließende Strebe konstruiert und auf der Hundegger K2 des Bundesbildungszentrums abgebunden. Mit der Totalstation wurde der Anschlusspunkt der Strebe an der Hallenstütze abgesteckt. Alle waren gespannt, ob auch diese deutlich kniffligere Aufgabe zufriedenstellend gelöst werden kann. Obwohl die vorgesehene Zeit durch intensive Diskussionen längst um war und die Teilnehmer weite Heimwege vor sich hatten, wollten alle diesen krönenden Abschluss mitbekommen. „Jou! Basst!“, hieß es am Ende. „Quod erat demonstrandum.“
Die Teilnehmer bleiben mit Rainer Abt in Kontakt, um sich von ihm bezüglich der geeigneten Ausstattung beraten zu lassen und eventuell ein spannendes Projekt mit ihm gemeinsam umzusetzen.